HÖRGERÄTE SIND NUR ETWAS FÜR „ALTE“ LEUTE!

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Schleichend kommt die Stille

Es war ein warmer Sommertag im letzten Jahr, an dem wir mit der ganzen Familie ein Grillfest feierten. Um einen großen Tisch tummelten sich 10 Menschen im Alter von 5-92. Es wurde gequatscht, gelacht und über das Leben philosophiert. Mal lauter Mal leiser, aber zu keinem Zeitpunkt ruhig. Meine Oma, die Älteste in der Runde, ist bei solchen Feierlichkeiten immer ganz vorne mit dabei, müsst Ihr wissen. Nicht so an besagtem Tag.
Sie war still, Ihre Stirn in Falten gelegt. Sie wirkte sehr konzentriert und angespannt. An den leichten Themen konnte es nicht liegen.

 „Ist alles in Ordnung Oma, geht’s Dir gut?“ fragte ich.

„ Hä? Tanja, wofür brauche ich heute wohl noch großen Mut? Und überhaupt – es platze aus Ihr heraus – wieso sprichst Du in letzter Zeit so undeutlich? Was ist das für eine Unart von euch jungen Dingern? Klar und deutlich! Das kann doch nicht so schwer sein! Ich kann Euch allen heute nicht folgen, entweder wird geflüstert, damit ich ja Nichts mitbekomme oder es wird so laut gelacht, dass einem fast das Trommelfell platzt. Ich habe heute keine Lust mehr, ich möchte nach Hause aufs Sofa.“


Sie wirkte ungewohnt verwirrt und ich fuhr sie, viel früher als geplant, nach Hause. Das meine Oma mit 92 Jahren nicht mehr ganz so gut hört, das war uns allen klar, wie schlecht die Hörfähigkeit tatsächlich war, ahnten wir zu diesem Zeitpunkt nicht.

Folgende Eigenarten hakten wir unter ‚Schrulligkeit‘ unserer Oma ab:

  • Oma antwortet nur wenn Ihr danach ist
  • Beschwerden über Ihre rücksichtslosen Mitmenschen, die entweder zu laut oder zu leise sprechen.
  • Beteiligt sich an Gruppengesprächen nur noch sporadisch, meist mit Aussagen oder Reaktionen die nicht zum Gesprächsinhalt passen. Kann zur allgemeinen Erheiterung beitragen.

Die Schrulligkeit und das Ereignis an besagtem Grillfest lies mich hellhörig werden.
Einfühlsam, weil meine Oma eine sehr stolze Frau ist, versuchte ich Ihre Schwerhörigkeit zu thematisieren. Ohne Erfolg. Sie werte sich sprichwörtlich mit Händen und Füssen gegen einen Termin beim HNO. Es sei alles in Ordnung mit ihren Ohren, sie höre sehr gut und vor allem das was Sie hören möchte. ‚Hörgeräte sind etwas für alte Leute!‘ betont sie sehr bestimmt, wieder und wieder.

Nach vielen Wochen der Überzeugungsarbeit und vor allem damit die Familie endlich Ruhe gibt, ging es nun endlich zum HNO.

Der Termin beim Hals-Nasen-Ohrenarzt – Diagnose Schwerhörigkeit

Während des Termins warf Oma immer wieder energisch den gleichen Satz in das Gespräch: „Ich höre gut!“ Dabei zog Sie die Augenbrauen hoch und ihre Lippen waren nur noch als Strich erkennbar. Der Arzt lächelte sie mit warmem Blick an und besänftigte sie, „Ja ich weiß, wir schauen auch nur, ob es nicht noch besser sein könnte, das Hören.“ Meine Oma freute sich über die Fürsorge des Arztes, ging aber nicht auf das Gesagte ein.
Der HNO stellte eine hochgradige Schwerhörigkeit auf dem linken Ohr und eine mittelgradige Schwerhörigkeit auf dem anderen Ohr fest. Er war erstaunt, dass unsere Oma bei unserem Gespräch überhaupt noch so viel verstand.
Oma schwieg betroffen, aber sie hatte den Arzt gehört und auch inhaltlich verstanden.
Nun schickte sie der Arzt mit entsprechender Verordnung umgehend zum Hörgeräteakustiker. Welch Fest!

Weit gefehlt. Heute ist der Termin beim HNO, auf den Tag genau, 6 Monate her.
Selbst die Expertise eines Arztes, die für meine Oma ein Dogma darstellt, konnte Ihre Glaubenssätze bezüglich Hörsystemen, bislang nicht beeinflussen. Die Verordnung in der Schublade verweilend kann die Hörsituation nicht verbessern. 

Zwingen kann man Niemanden zu seinem Glück und wenn jemand keine (Hör)Hilfe  wünscht, dann ist das so und auch das darf man lernen zu akzeptieren und auch das kann eine Familie tragen.

Es kommen so viele Aspekte zusammen, wenn Dein Leben mit einer Diagnose belegt wird, die einfach nicht akzeptiert werden will und kann. Im Falle meiner Oma sind es Ängste und Vorstellungen, die das Annehmen und Tragen von Hörgeräten aktuell unmöglich machen.

Emotionen und Gedanken im Kontext:

  • Ich bin alt – alt sein = Belastung für mein Umfeld
  • Weil ich alt bin – ist dieser Aufwand nicht mehr nötig
  • Abhängigkeit einer Technik, die nicht verständlich ist
  • Mein Hören ist gut (schleichender Prozess der Verschlechterung wird selbst spät wahrgenommen)
  • Überforderung
  • Kontrollverlust – mein Körper verfällt

So aufgelistet ist erkennbar, was es für manche Menschen bedeutet eine Hörhilfe anzunehmen.

Aufklärung & Transparenz für mehr Sicherheit und Akzeptanz

Aufklärung! Ich wünsche mir betreffend Hörschäden, Prävention und Hörhilfen mehr Transparenz. Dieses Thema verlangt Aufmerksamkeit und vor Allem eine Form von Leichtigkeit und ‚Normalität‘, sodass Ängste und negative Assoziationen gar nicht erst entstehen.

Ich freue mich, dass ich Sarah Barsch persönlich kennenlernen durfte und sie mir mit Ihrer Expertise und empathischen Art, Ihre Welt mit Schwerhörigkeit, nah brachte. Ich habe verstanden, dass Hörgeräte nicht nur für ältere Menschen eine Option sind und dass unsere Ohren im Zusammenspiel mit unserem Gehirn, im Kompensieren sehr stark sind und dass ein Hörgerät ein Hilfsmittel ist – wie eine Brille.

Ich darf nächste Woche einen Hörtest machen und ich freue mich darauf. Egal was dabei raus kommt, es wird mich nicht aus der Bahn werfen.

Und die zu junge Oma (92J), die lieben wir auch ohne Hörgeräte…aber vielleicht, vielleicht versucht sie es doch mal, wenn sie mehr darüber weiß.