Es ist schwer für sich selbst zu akzeptieren, ich bin Schwerhörg und brauche ein Hörgerät. So war es damals für mich als ich meinenersten Hörsturz hatte.
Es ist ein gewöhnlicher Arbeits Morgen, ja, es ist stressig. Neue Firma, kaum Einarbeitung, schlechte Stimmung, aber ich schaffe das schon! Da klingelt das Telefon, die ungehaltene Buchhalterin ist dran, mir ist wieder ein Fehler unterlaufen und sie wird etwas lauter. Auf einmal höre ich ein lautes Piepen und die Stimme am Telefon nur noch verschwommen. Was ist mit mir los? Ich entschuldige mich und lege auf. Werde ich Schwerhörig?
So oder ähnlich ergeht es in Deutschland jährlich mehr als 150.000 Menschen laut deutscher Tinnitusliga. Ich hatte einen Hörsturz. Also, wenn ihr merkt, dass ihr plötzlich schlechter hört, geht sofort zum HNO. Oft kann noch was gerettet werden. Aber darum soll es nur am Rande gehen.
Fahren wir fort. Ich meldete mich krank und ging zu HNO. Es folgten ein Krankenhaus und eine Infusionstherapie. Dadurch stabilisierte sich mein Gehör und der Tinnitus wurde wieder etwas schwächer. Aber leider behielt ich eine leichte Hochton Schwerhörigkeit und ein permanentes Rauschen auf dem Ohr. Am Abend konnte ich schlecht einschlafen, da meine Ohren verrücktspielten und ich ein Pfeifkonzert zu hören bekam. Also wieder ab zum HNO, dort bekam ich meine erste Verordnung für ein Hörgerät. Das war ein schreckliches Gefühl, wie geht es weiter, wird es schlimmer, kann ich irgendwann gar nichts mehr hören? Ich stand nun vor der Tür des Arztes und dachte nur, Augen zu und durch, mach gleich einen Termin beim Akustiker! So gedacht, so getan, nebenan war gleich der nächste Hörgeräteakustiker, ich also rein und habe einen Termin vereinbart.
Zu diesem Zeitpunkt hörte ich in langläufiger Meinung noch recht gut, ich hatte 80% Sprachverstehen und nur eine leichte Hochtonschwerhörigkeit.
So habe ich ohne Hörgerät gehört:
Normalhörend:
‚Die Kätzchen spielen im Garten, für
viele Vögel ist das eine Gefahr!‘
Ich:

‚Die -ätzchen -pielen im Gar-en, für viele Vögel i-t da- eine Gefahr!‘
„Ich denke, mit etwas Anstrengung geht es auch noch ohne Hörgerät. Schließlich verstehe ich noch alles, wenn es um mich herum nicht laut ist.“
So denken die meisten Leute und aus meiner langjährigen Erfahrung als Hörgeräteakustik-Meisterin hält das auch der eine oder andere HNO Arzt so.
Aber das ist nicht so!
So habe ich mit Hörgerät gehört:
Hier mal ein Beispiel zur veranschaulichung, wie es sich anhört bevor ich mich an das hören mit Hörsystem gewöhnt habe.
Normalhörend:
‚Die Kätzchen spielen im Garten, für viele Vogel ist das eine Gefahr!‘
Ich mit Hörgerät:

Gewöhnung ist wichtig!
Aber nach ein paar Tagen hatte sich das normalisiert und ich will nicht lügen, viele Geräusche wie Geschirrklappern dauerten wesentlich länger, um sich daran zu gewöhnen. Die Geschirrspülmaschine räumte ich tatsächlich ca. 6 Monate mit äußerster Vorsicht ein, damit ich nicht zusammen zuckte. An zwei beeindruckende Momente kann ich mich noch genau erinnern. Als ich nach Hause fuhr, regnete es und ich dachte erst huch was ist das? Ist das Auto kaputt? Dabei war es nur die nasse Fahrbahn, die ein Geräusch mit den Reifen erzeugte. Dieses Geräusch hatte ich so lange nicht mehr wahrgenommen, dass ich es erst gar nicht zuordnen konnte. Der zweite Moment war, als ich völlig entsetzt fragte, ob unser Lichtschalter defekt wäre, da er so ein klack Geräusch von sich gab. Daraufhin sagte mein Mann: „Das ist nur das Einschaltknacken, das ist doch ganz normal.“
Diese Momente zeigen, dass das Gehirn sich sehr schnell Geräusche vergisst. Ich war zu dem Zeitpunkt ca. 3 Monate leicht schwerhörig und hatte schon so viele Geräusche komplett verlernt und musste sie erst neu einordnen. Außerdem war ich erst Mitte 20, also noch in einem Alter, in dem der Mensch relativ schnell lernt und ich brauchte fast 6 Monate, um wieder alles normal zu hören.
Diese und weitere Aspekte werden immer völlig außer Acht gelassen, wenn es heißt: „Ich höre doch noch einigermaßen, ich warte lieber noch ein bisschen bis ich mir Hörgeräte hole.”
Experten gehen davon aus, dass Hörprobleme durchschnittlich 7 bis 10 Jahre zu spät erkannt und Behandelt werden. Das kann zu vielen Problemen führen. Zum einen ist das gewöhnen an das neue hören mit Hörgeräten deutlich langwieriger und schwieriger. Zum anderen werden oft nicht mehr so gute Hör Ergebnisse erzielt, wie bei einer frühen Versorgung.
Hier noch zwei Beispiele aus meiner beruflichen Praxis:
Normalhörend:
‚Die Kätzchen spielen im Garten, für
viele Vögel ist das eine Gefahr!‘
Kundin:


So ungefähr werden die zwei beschriebenen Kundinnen den Satz ohne Hörgerät hören.
Die beiden Kundinnen, die ich gleich beschreiben werden, haben einen vergleichbaren Hörverlust und sind beide Mitte 80. Sie haben ähnliche familiäre Hintergründe.
Was passiert, wenn du zu lange mit der Hörgeräteversorgung wartest:
Kundin eins, wir nennen Sie Erna, kam nach langem hin und her mit Ihrem Enkel zu mir. Ihr Umfeld konnte nur noch schreiend mit ihr sprechen. Sie saß die meiste Zeit alleine im Sessel, da Erna sich nicht mehr an Unterhaltungen beteiligen konnte. Dies ging schon einige Jahre so, aber jetzt ist es so schlimm geworden, dass die Angehörigen nicht mehr mitmachen. Selber meint sie, sie höre eigentlich nur ein wenig schwer und die Kinder sprechen viel zu leise und undeutlich mit ihr. Ich habe ihr die Situation versucht zu erklären und ihre Hörgeräte angepasst. Mit den Hörhilfen war ihr jetzt natürlich alles zu laut und sie war überfordert. Zusätzlich kam dazu, dass jahrelang Stille herrschte, so dass ihr Gehirn verlernt hatte zu hören. Also kamen wir zwar auf ein Sprachverstehen von 40%, aber mehr konnte ihr Gehirn nicht mehr leisten. Die zweite Schwierigkeit war, Erna trug die Hörgeräte nur dann, wenn Besuch da war. Daher waren ihr die Nebengeräusche immer zu laut und sie war nicht wirklich glücklich mit ihren Hörgeräten. Die Angehörigen waren auch nicht zufrieden, da sie zwar eine Verbesserung sahen, aber sich deutlich mehr erhofft hatten. Dies ist leider keine Seltenheit im Alltag eines Hörgeräteakustikers.
So kann es sein wenn du dich schnellst möglich für ein Hörgerät entscheidest
Nun ein Gegenbeispiel, wir nennen die Kundin Christa. Nachdem ihr Sohn, sie mit mitte 50, darauf aufmerksam gemacht hatte, dass sie die Klingel nicht mehr hörte, ging sie zum HNO und bekam ihr erstes Hörgerät. Nach einer längeren Anpasszeit, war sie sehr zufrieden und trug ihr Gerät jeden Tag. Da sie Ihr Hörsystem täglich von morgens bis abends trug störten Christa nach einiger Zeit die Nebengeräusche nicht mehr. Kaum jemand bemerkte, dass sie Hörgeräte trug. Mit dem alter verschlechterte sich ihr hören und jedes Mal ließ sie sich die Hörgeräte (später zwei) anpassen. Sie geht regelmäßig mit ihren bekannten zum Kaffeekränzchen und unterhält sich gerne. Auch wenn sie nun nicht mehr alles hundertprozentig versteht, kommt sie gut zurecht. Sie hat immer noch ein Sprachverstehen von 70%. Christa möchte ihre Hörgeräte nicht mehr missen und findet es furchtbar, wenn sie sie mal nicht tragen kann.
Fazit:
Daran sieht man, auch wenn jeder Mensch unterschiedlich ist, es lohnt sich frühzeitig mit einer Hörgeräteversorgung zu beginnen. Ich kann es nur jedem, der betroffen ist, ans Herz legen. Dies kann ich nur immer wieder feststellen, aus langjähriger Erfahrung als Schwerhörige und aus den verschiedensten Beobachtungen mit Kunden von mir als Hörgeräteakustikmeisterin.
Leider gibt es immer noch viel mehr Menschen, die es wie Erna halten, also gehöre nicht dazu!